St. John ist nicht nur eine Insel in der Karibik, St. John ist auch die englische Bezeichnung für Johanniskraut. Traditionell wird diese Heilpflanze gegen depressive Verstimmungen und innere Unruhe eingesetzt. Und irgendwie passt es da, dass Johanniskrautpflanzen besonders robust zu sein scheinen. Fast weltweit verbreitet sind sie – Lena Inken Schaefer hat Johanniskraut zum Beispiel direkt an der Autobahn gefunden. Sie hat die Pflanzen getrocknet, dann eingeweicht und gekocht. Den Sud hat sie verwendet, um Stoff einzufärben – aus dem sie eigens einen Pyjama hat schneidern lassen.
Der Pyjama an sich blickt übrigens auf eine lange Geschichte zurück: Im 17. Jahrhundert durch die Englänger von Indien nach Europa gelangt, verdrängte er mit der Zeit das Nachthemd für den Herren. Fast rührend altmodisch wirkt dieses Kleidungsstück heutzutage, zumal der Schnitt, den Lena Inken Schaefer gewählt hat, aus einem längst vergangenen Jahrzehnt zu entstammen scheint. So, wie man einen Anzug hat, um zur Arbeit zu gehen, hat man auch einen Anzug, um schlafen zu gehen. Alles hat seine Ordnung, scheint der Pyjama uns versichern zu wollen. Aber wir wissen, dass das nicht stimmt.
„Die Tage sind lang, die Nächte kalt (Pyjama)“, so lautet der Titel dieser Arbeit. Und es bleibt fraglich, ob man mit dem hier ausgestellten Stück eine ausgelassene Pyjamaparty feiern wird. Es handelt sich um einen sogenannten Shorty mit kurzen Ärmeln und kurzer Hose. Eine schöne Vorstellung, dass der johanniskrautgetränkte Stoff den Schläfer einhüllt, ein Antidepressivum aus Wollstoff, wirksam über Nacht. Aber der Körper ist niemals ganz bedeckt – ein Frösteln bleibt.
Direkt gegenüber vom Pyjama hängt ein Schränkchen aus Walnussholz, darin zwei zusammengeknüllte (oder auch absichtlich so drapierte?) Wollstoffstücke, von Lena Inken Schaefer mit Walnussschalen eingefärbt. Die optische Parallele zwischen einem Walnusskern und dem menschlichen Gehirn liegt auf der Hand – und auch der Faltenwurf des Stoffs weist Ähnlichkeit zu den Gehirnwindungen auf. Die unterschiedliche Farbe – das eine Stoffstück intensiv braun, das andere schwächer und gräulicher – resultiert aus dem sogenannten ersten bzw. zweiten Zug beim Färben. Und so unterscheidet sich wohl auch manch erster, spontan geäußerter Gedanke von einem zweiten, der durch Abwägung, Einspruch oder Zweifel bereits an Kraft und Glanz verloren hat. „Während die Walnuss Zeit mit dem Menschen verbrachte, wuchs ihre Frucht, und ihre Schale wurde dünner“ ist der im wahrsten Sinne des Wortes märchenhafte Titel dieser Arbeit. Die Türen am Schränkchen stehen derzeit offen, lassen sich aber jederzeit schließen. Dann liegt der Stoff geschützt im Dunkeln, wie ein Geheimnis, das man für sich behält.
Auch Stofftaschentücher hat Lena Inken Schaefer eingefärbt – mit Zwiebelschalen. Womit auch sonst? Ihre Auseinandersetzung mit der uralten Tradition des Färbens scheint sie hier mit einem Augenzwinkern zu kommentieren. „Gestauchter Spross“ – die botanische Bezeichnung der Zwiebel dient als Titel dieser Arbeit. Unweigerlich denkt man an den Sprössling, das Kind, das, von gestrengen Eltern zusammengestaucht, wohl auch die ein oder andere Träne vergießen mag.
Ein Tisch aus Buchenholz steht ebenfalls im Flur, schlicht, nur die Tischbeine weisen jeweils eine identische Drechselarbeit auf. Schaut man genauer hin, erkennt man, dass es sich dabei um das Profil eines Gesichts handelt – es ist das von Lena Inken Schaefer. Eine außergewöhnliche Form des Selbstportraits, vierfach und doch nicht auf den ersten Blick zu erkennen, unterhalb des eigentlichen Geschehens und doch tragend.
Im kleinen und großen Ausstellungsraum kommt Lena Inken Schaefer auf ein Thema zurück, mit dem sie sich schon seit Längerem beschäftigt. Immer wieder hat sie Motive und Muster von Geldscheinen, die aus Zeiten der deutschen Inflation in den Jahren 1914 bis 1923 stammen, isoliert und vergrößert. Zwei der Arbeiten sind im großen Ausstellungsraum zu sehen. Und auch die verspielt wirkenden Kringel an den Wänden stammen von diesen Geldscheinen. Jeder kennt wahrscheinlich die historischen Fotos von dem Mann, der mit wertlos gewordenen Scheinen einen Raum tapeziert, oder von der Frau, die ihren Ofen damit anheizt. Auch in den Ausstellungsräumen gibt es jeweils einen Ofen, und die Kringel dürfen durchaus an Rauchwölkchen erinnern. Etwas löst sich in Luft auf, ein Wert, eine Sicherheit, ein System.
Oder ein Mensch. Eine Matte liegt in der Mitte des kleinen Ausstellungsraums, grau wie der Fußboden, der Bezug aus Baumwolle, gefärbt mit Farn. Farnsamen, so heißt es in alten Sagen, sollen unsichtbar machen. Sicher ist, dass Farne zu den ältesten Pflanzen der Welt gehören, lange vor uns da waren und lange nach uns da sein werden. Und ebenso wie bei dem Pyjama ist es bei dieser Matte fraglich, ob sie den Schläfer zu einem glücklichen Schläfer machen wird.
Zehn Fossilien, in Nachttischposition neben der Matte, zeigen versteinerte Farne, nur noch als Abdruck sichtbar, ganz starr – und ganz anders als die Wirbelsäule, mit der der Farn in der Signaturenlehre gleichgesetzt wird. „Zu dieser Zeit war er selbst so groß wie die Bäume in deren Schatten er jetzt lebt (Farn)“, auch in diesem gleichermaßen rätselhaften wie melancholischen Titel schwingt das Thema „Verschwinden“ mit, das sich hier auf die Inflation, die Farnsamen, auch auf das Selbstportrait als Tischbein beziehen lässt. (Hanna Lemke, 2014)