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Dominikus Müller
Da hängt ein Schrank an der Wand. Mehr hoch als breit und aus Walnussholz. Das Holz gibt dem Schränkchen eine seltsame, rötlich glimmernde Wärme. Die Flügeltürchen stehen offen. Ins Innere sind zwei Stücke Stoff hineingeknüllt. Sie füllen jeden Zentimeter aus. Dass diese Stoffe eine ähnliche, zumindest eine mit dem Schränkchen korrespondierende Farbe aufweisen (ein Stück ist etwas dunkler als das andere), rührt daher, dass sie mit Walnussschalen eingefärbt wurden. Das zumindest lässt sich aus den Werkangaben lernen, die Lena Inken Schaefer dieser Arbeit mit dem langen und wunderschön kryptischen Titel Während die Walnuss Zeit mit dem Menschen verbrachte, wuchs ihre Frucht, und ihre Schale wurde dünner (2014) mitgegeben hat. Auch formal erinnert dieses Kästchen an eine Walnuss – harte Schale, weicher Kern, Zweiteilung; die Falten des Stoffes haben Ähnlichkeit mit der gewundenen Form des Inneren der Nuss. Alles liegt offen da, buchstäblich; alles ist sichtbar auf der Oberfläche. Die Türchen stehen ja auch offen.
Dieses Kästchen ist Teil einer Ausstellung Schaefers namens Pyjama St. John (2014) in der Künstlerstätte Stuhr-Heiligenrode. In dieser Ausstellung finden sich noch andere Arbeiten, die nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren. Da wäre der titelgebende Pyjama St. John (2014). Wie die Stoffe im Walnussschränkchen ist dieser kurze Pyjama mit Pflanzen eingefärbt. Genauer: mit Johanniskraut. Johanniskraut hat, zumindest der landläufigen Meinung der Naturheilkunde nach, beruhigende und antidepressive Wirkung. Es soll helfen, Schlafstörungen zu lindern. Das Ganze funktioniert demnach nach einer Art „Übersprungslogik“, die das Kleidungsstück mit seinem Färbemittel, den Träger mit seiner Substanz kurzschließt. Ein weiteres Beispiel: Auf einem Sims liegt ein Stoß Stofftaschentücher (Gestauchter Sproß, 2014), eingefärbt mit Zwiebelschalen. Klar: Zwiebel – Weinen – Taschentuch. Zudem erinnert das gefaltete Häufchen auch formal an die Schichten einer Zwiebel. Auch das Walnussschränkchen passt letztlich in diese Logik. Denn der Walnuss wird – ähnlich wie Zwiebeln oder Johanniskraut, heilende Wirkung zugeschrieben. Die Walnuss soll Kopfschmerzen kurieren. Sieht ja auch aus wie ein Hirn. Alles in allem stellen die Arbeiten dieser Serie Bedeutung also zunächst über formale Ähnlichkeit her – und leiten aus dieser sichtbaren Korrespondenz eine Art tieferliegende, auf Wirkung zielende Entsprechung, eine Kongruenz ab.
Schaefer bedient sich für diese Serie lose bei der sogenannten Signaturenlehre, die auf sichtbaren Ähnlichkeitsbeziehungen (vor allem zwischen Pflanzen und Körperteilen) beruht. Die Signaturenlehre findet heutzutage vor allem in der Naturheilkunde und Homöopathie Anwendung, entspringt aber einem sehr viel älteren Wissenssystem vor der Aufklärung. „Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts hat die Ähnlichkeit im Denken der abendländischen Kultur eine tragende Rolle gespielt“, schreibt Michel Foucault in Die Ordnung der Dinge. Die Ähnlichkeit, so Foucault weiter, „hat zu einem großen Teil die Exegese und Interpretation der Texte geleitet, das Spiel der Symbole organisiert, die Erkenntnis der sichtbaren und unsichtbaren Dinge gestattet und die Kunst ihrer Repräsentation bestimmt.“
Auf den ersten Blick hat man es hier also mit einer Art künstlerischer Archäologie verlorengegangener (oder zumindest marginalisierter) Systeme zur Produktion und Ordnung von Wissen zu tun: mit der Annäherung an einen anderen, einen alternativen Zugang zur Welt und ihren Dingen, einer anderen Möglichkeit, die Dinge und die Wörter, die sie bezeichnen, anzuordnen. Auf den zweiten Blick (den, der weniger den konkreten Verknüpfungen zwischen bestimmten Dingen und Wörtern gilt und mehr den abstrakten Gesetzmäßigkeiten dahinter) geht es hier aber einen entscheidenden Schritt weiter. Noch einmal zurück zu Foucault: „Es gibt keine Ähnlichkeit ohne Signatur. Die Welt des Ähnlichen kann nur eine bezeichnete Welt sein. [...] Das Wissen der Ähnlichkeiten gründet sich auf die Aufzeichnung dieser Signaturen und ihre Entzifferung. […]“ Weiter aber gilt, und das macht für diesen Fall den Unterschied ums Ganze: „Die Signatur und das von ihr Bezeichnete sind von genau gleicher Natur, sie gehorchen nur einem unterschiedlichen Distributionsgesetz, die Abtrennung ist die gleiche. Bezeichnende Form und bezeichnete Form sind Ähnlichkeiten, die nebeneinanderstehen.“
Anders gesagt: Es kann kein Ding (im Sinne einer Position innerhalb eines Wissenssystems) geben, ohne ein Zeichen dafür zu haben. Und: Das sichtbare Zeichen ist als solches ebenso Teil der Welt, es gehört in die gleiche Ordnung der Dinge wie das Ding, das es bezeichnet – anders als im aufklärerisch-rationalen Regime der Repräsentation, das in letzter Konsequenz auf eine absolute Transparenz der Zeichen abzielt und damit zumindest implizit unterstellt, dass die Zeichen als reine Ordnung nicht Teil der gleichen Welt sind, wie die Dinge, die sie bezeichnen. In der Signaturenlehre aber sind auch Bezeichnetes und Bezeichnendes über ein Prinzip der Ähnlichkeit verbunden. Das Zeichen für die Ähnlichkeit ist in guter tautologischer Manier demnach die Ähnlichkeit selbst: Das die Walnuss wie ein Hirn aussieht ist ultimativer Beweis für ihre Wirkung.
Womit wir dort angelangt wären, wo sich die Arbeiten Lena Inken Schaefers immer wieder aufhalten: bei der Tautologie und beim Spiel des Herauslösens von Zeichen aus einem System sowie deren „Re-Entry“ in dieses System. So bedient sich eine weitere Werkgruppe in formal strenger Abstraktion auf sehr konzise Art und Weise just dieser Tautologie (ohne sich dafür direkt an ein Wissenssystem wie die Signaturenlehre anlehnen zu müssen). Hier verwendet die Künstlerin handelsübliche Museumsvitrinen. Für Closed Systems (2011) hat sie beispielsweise eine Standardvitrine der Berliner Museen ausgestellt. Die Vitrine selbst war leer bis auf ein Exponat: eine Eisenkurbel, wie sie verwendet wird, um die Vitrine zu öffnen. Das Werkzeug zur Handhabung wird selbst weggesperrt. Das notwendige Hilfsmittel, das benötigt wird, um die Vitrine ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen (nämlich etwas, das in ihr liegt, zu zeigen), findet sich selbst ausgestellt. Eine Art Möbiusband, in dem sich außen und innen untrennbar vertauschen. Und eine Blockade im System. Gezeigt wird am Ende just der Abschluss, das Schließen der Vitrine – und es wird suggeriert, dass man sie nicht mehr öffnen kann.
Wie eine Antwort auf diesen Abschluss wirkt eine aktuelle Gruppe von Vitrinen-Arbeiten, für die Schaefer eine Vitrine in kleine Einzelteile zersägt hat. Noch einmal einen Grad abstrakter (man hat es beinahe nur noch mit einer Menge an sich aussageloser rechtwinkliger Messingstücke zu tun) findet sich die Schachtellogik von Closed Systems hier gleichzeitig wieder zerlegt und dennoch auf die Spitze getrieben: Wenn die Winkel auf einem niedrigen Podest zu einem Rautenmuster arrangiert werden oder ein Labyrinth (2014) gelegt und dieses wiederrum in einer intakten Vitrine unter Glas präsentiert wird, kollabieren Präsentierendes und Präsentiertes noch einmal auf ganz andere Weise – ähnlich dem Kollaps von Bezeichnendem und Bezeichnetem in Pyjama St. John.
Ein klein wenig anders – weniger über Tautologie und mehr auf Bedeutungsverschiebung operierend – funktionieren die Arbeiten auf Basis von Geldscheinmustern. Aber auch hier ist deutlich zu sehen, wie innerhalb einer modular angelegten Werkgruppe immer wieder mit den Mechanismen von Öffnung und Schließung operiert wird und die einzelnen Arbeiten sich beinahe wie Kontrapunkte zueinander verhalten. Anders gesagt: Wie die einzelnen Werke jedes Mal auch die Serie verändern, zu der sie zu gehören scheinen. So hat sie für die Serie 46 fragments from Belarusian 100 Rubel bills, die 2011 im Projektraum 4D in Berlin zu sehen war, einzelne Fragmente der Geldscheinmuster Belarussischer Rubelnoten radikal vergrößert, abgezeichnet und als eine Art „Pattern Painting“ an den Wänden aufgehängt. Diese ehedem aus einem speziellen Grund, nämlich der Fälschungssicherheit sowie der Identifizierbarkeit selbst einzelner Noten eingeführten Muster werden hier zunächst entwertet (indem sie, zweckentbunden, in pure „Dekoration“ verwandelt werden), nur um schließlich erneut und anders aufgewertet zu werden (durch den Transfer in den Raum der Kunst). Auf dem Weg dahin wird die (Wert produzierende) Abstraktion des Geldes zu einem ganz konkreten Muster, das in all seiner Dekorativität nicht mehr ist, als es ist: nämlich ein Muster. Erneuter (diesmal konzeptueller) Wert wird erst wieder über die mitgelieferte Herkunftsgeschichte der Muster eingeführt.
Einen Schritt weiter geht die Ausstellung Stabsichelbogen, die 2014 in der Berliner Galerie Krome stattfand. Die Künstlerin hat dafür Muster, die sie von einem 50.000 Mark-Geldschein aus der Zeit der Inflation entnommen hat, nicht nur nachzeichnet, sondern dabei einfachste, isolierte grafische Elemente zu einem beinahe beliebig kombinierbaren Formenreservoir zusammengefasst. Die Muster werden hier zu einer Art Alphabet, aus dem beliebig neue grafische Arbeiten zusammengesetzt werden können. Während sich für 50000 (2014) die extrem vergrößerten Muster auf einem schmalen, sechs Meter langen und bodennahen Tisch durch die Galerie ziehen, setzen sich kleinste grafische Elemente im Video Stabsichelbogen (2014) zu einem Mobile zusammen. Die einzelnen Teile werden buchstäblich zu einem neuen, größeren Ganzen animiert.
Letztlich reflektiert Schaefer das Prinzip der Öffnung und Schließung auch im Hinblick auf ihre eigene Rolle als Künstlerin. In der eingangs erwähnten Ausstellung in der Künstlerstätte Stuhr-Heiligenrode sind zwei entsprechende Arbeiten zu sehen. Da wäre einmal ein Tisch mit kunstvoll gedrechselten Beinen (Holztisch (Selbstporträt), 2014). Erst auf den zweiten Blick erkennt man (und auch dann nur anhand der nötigen Zusatzinformationen im Begleittext), dass die verschiedenen Drechselringe zusammengenommen ein Profil des Gesichts der Künstlerin abgeben. Sie selbst wandert hier als Porträt und tragendes Fundament in ihre Arbeit hinein, versteckt sich gleichzeitig aber buchstäblich unter dem Tisch. Und wieder scheint eine zweite Arbeit eine leicht variierte, gleichzeitig seltsam gegenläufige und doch in die gleiche Richtung weisende Bewegung zu vollziehen. Neben einem Bodenarrangement mit versteinerten Farnen liegt eine einfache dünne Matratze auf dem Boden, auch sie ist wie die anderen Textilarbeiten der Ausstellung eingefärbt, diesmal mit Farnen (Zu dieser Zeit war er selbst so groß wie die Bäume, in deren Schatten er jetzt lebt, 2014). Farne sollen, alten Überlieferungen nach, unsichtbar machen. Folgerichtig liegt hier jemand auf der Matratze – auch wenn man ihn oder sie nicht zu sehen bekommt. Der Ort der Künstlerin bleibt leer; und ist doch besetzt.
Am Ende präsentiert sich die Kunst von Lena Inken Schaefer (inklusive ihrer Rolle als Künstlerin) selbst als ein System, das Teil dessen ist, was es organisiert und damit aussagen möchte. So wie sich hier die einzelnen Werkgruppen verknüpfen, wie es eine Art unterliegender Thematik zu geben scheint, entkoppeln die einzelnen Elemente sich wieder – just in dem Moment, in dem sie sich allzu „ähnlich“ geben. Sie führen auf, was sie sagen, sie teilen mit, was sie bezeichnen. Und entziehen sich gleichzeitig wieder. Das Prinzip der Ähnlichkeit und des Übersprungs, des Herauslösens und erneuten Einbettens wird selbst immer wieder gebrochen und privilegiert stets nur lose (sprich: „mögliche“) Koppelungen. Ebenen gleiten ineinander, sind nicht scharf voneinander abgegrenzt und dann doch irgendwie. Dichte wird sporadisch hergestellt, Kurzschlüsse führen von einem zum anderen System, Metaphern erlauben ein Gleiten zwischen den Registern. Und so lebt dieses Werk genau von seiner prekären Zweigleisigkeit: vom Explizit-Machen und sofort wieder Implizit-werden-Lassen, vom Zeigen und Verstecken, vom Koppeln, das Hand in Hand geht mit der Entkoppelung. Abschluss, der immer auch Aufbruch bedeutet.
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Dominikus Müller
Da hängt ein Schrank an der Wand. Mehr hoch als breit und aus Walnussholz. Das Holz gibt dem Schränkchen eine seltsame, rötlich glimmernde Wärme. Die Flügeltürchen stehen offen. Ins Innere sind zwei Stücke Stoff hineingeknüllt. Sie füllen jeden Zentimeter aus. Dass diese Stoffe eine ähnliche, zumindest eine mit dem Schränkchen korrespondierende Farbe aufweisen (ein Stück ist etwas dunkler als das andere), rührt daher, dass sie mit Walnussschalen eingefärbt wurden. Das zumindest lässt sich aus den Werkangaben lernen, die Lena Inken Schaefer dieser Arbeit mit dem langen und wunderschön kryptischen Titel Während die Walnuss Zeit mit dem Menschen verbrachte, wuchs ihre Frucht, und ihre Schale wurde dünner (2014) mitgegeben hat. Auch formal erinnert dieses Kästchen an eine Walnuss – harte Schale, weicher Kern, Zweiteilung; die Falten des Stoffes haben Ähnlichkeit mit der gewundenen Form des Inneren der Nuss. Alles liegt offen da, buchstäblich; alles ist sichtbar auf der Oberfläche. Die Türchen stehen ja auch offen.
Dieses Kästchen ist Teil einer Ausstellung Schaefers namens Pyjama St. John (2014) in der Künstlerstätte Stuhr-Heiligenrode. In dieser Ausstellung finden sich noch andere Arbeiten, die nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren. Da wäre der titelgebende Pyjama St. John (2014). Wie die Stoffe im Walnussschränkchen ist dieser kurze Pyjama mit Pflanzen eingefärbt. Genauer: mit Johanniskraut. Johanniskraut hat, zumindest der landläufigen Meinung der Naturheilkunde nach, beruhigende und antidepressive Wirkung. Es soll helfen, Schlafstörungen zu lindern. Das Ganze funktioniert demnach nach einer Art „Übersprungslogik“, die das Kleidungsstück mit seinem Färbemittel, den Träger mit seiner Substanz kurzschließt. Ein weiteres Beispiel: Auf einem Sims liegt ein Stoß Stofftaschentücher (Gestauchter Sproß, 2014), eingefärbt mit Zwiebelschalen. Klar: Zwiebel – Weinen – Taschentuch. Zudem erinnert das gefaltete Häufchen auch formal an die Schichten einer Zwiebel. Auch das Walnussschränkchen passt letztlich in diese Logik. Denn der Walnuss wird – ähnlich wie Zwiebeln oder Johanniskraut, heilende Wirkung zugeschrieben. Die Walnuss soll Kopfschmerzen kurieren. Sieht ja auch aus wie ein Hirn. Alles in allem stellen die Arbeiten dieser Serie Bedeutung also zunächst über formale Ähnlichkeit her – und leiten aus dieser sichtbaren Korrespondenz eine Art tieferliegende, auf Wirkung zielende Entsprechung, eine Kongruenz ab.
Schaefer bedient sich für diese Serie lose bei der sogenannten Signaturenlehre, die auf sichtbaren Ähnlichkeitsbeziehungen (vor allem zwischen Pflanzen und Körperteilen) beruht. Die Signaturenlehre findet heutzutage vor allem in der Naturheilkunde und Homöopathie Anwendung, entspringt aber einem sehr viel älteren Wissenssystem vor der Aufklärung. „Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts hat die Ähnlichkeit im Denken der abendländischen Kultur eine tragende Rolle gespielt“, schreibt Michel Foucault in Die Ordnung der Dinge. Die Ähnlichkeit, so Foucault weiter, „hat zu einem großen Teil die Exegese und Interpretation der Texte geleitet, das Spiel der Symbole organisiert, die Erkenntnis der sichtbaren und unsichtbaren Dinge gestattet und die Kunst ihrer Repräsentation bestimmt.“
Auf den ersten Blick hat man es hier also mit einer Art künstlerischer Archäologie verlorengegangener (oder zumindest marginalisierter) Systeme zur Produktion und Ordnung von Wissen zu tun: mit der Annäherung an einen anderen, einen alternativen Zugang zur Welt und ihren Dingen, einer anderen Möglichkeit, die Dinge und die Wörter, die sie bezeichnen, anzuordnen. Auf den zweiten Blick (den, der weniger den konkreten Verknüpfungen zwischen bestimmten Dingen und Wörtern gilt und mehr den abstrakten Gesetzmäßigkeiten dahinter) geht es hier aber einen entscheidenden Schritt weiter. Noch einmal zurück zu Foucault: „Es gibt keine Ähnlichkeit ohne Signatur. Die Welt des Ähnlichen kann nur eine bezeichnete Welt sein. [...] Das Wissen der Ähnlichkeiten gründet sich auf die Aufzeichnung dieser Signaturen und ihre Entzifferung. […]“ Weiter aber gilt, und das macht für diesen Fall den Unterschied ums Ganze: „Die Signatur und das von ihr Bezeichnete sind von genau gleicher Natur, sie gehorchen nur einem unterschiedlichen Distributionsgesetz, die Abtrennung ist die gleiche. Bezeichnende Form und bezeichnete Form sind Ähnlichkeiten, die nebeneinanderstehen.“
Anders gesagt: Es kann kein Ding (im Sinne einer Position innerhalb eines Wissenssystems) geben, ohne ein Zeichen dafür zu haben. Und: Das sichtbare Zeichen ist als solches ebenso Teil der Welt, es gehört in die gleiche Ordnung der Dinge wie das Ding, das es bezeichnet – anders als im aufklärerisch-rationalen Regime der Repräsentation, das in letzter Konsequenz auf eine absolute Transparenz der Zeichen abzielt und damit zumindest implizit unterstellt, dass die Zeichen als reine Ordnung nicht Teil der gleichen Welt sind, wie die Dinge, die sie bezeichnen. In der Signaturenlehre aber sind auch Bezeichnetes und Bezeichnendes über ein Prinzip der Ähnlichkeit verbunden. Das Zeichen für die Ähnlichkeit ist in guter tautologischer Manier demnach die Ähnlichkeit selbst: Das die Walnuss wie ein Hirn aussieht ist ultimativer Beweis für ihre Wirkung.
Womit wir dort angelangt wären, wo sich die Arbeiten Lena Inken Schaefers immer wieder aufhalten: bei der Tautologie und beim Spiel des Herauslösens von Zeichen aus einem System sowie deren „Re-Entry“ in dieses System. So bedient sich eine weitere Werkgruppe in formal strenger Abstraktion auf sehr konzise Art und Weise just dieser Tautologie (ohne sich dafür direkt an ein Wissenssystem wie die Signaturenlehre anlehnen zu müssen). Hier verwendet die Künstlerin handelsübliche Museumsvitrinen. Für Closed Systems (2011) hat sie beispielsweise eine Standardvitrine der Berliner Museen ausgestellt. Die Vitrine selbst war leer bis auf ein Exponat: eine Eisenkurbel, wie sie verwendet wird, um die Vitrine zu öffnen. Das Werkzeug zur Handhabung wird selbst weggesperrt. Das notwendige Hilfsmittel, das benötigt wird, um die Vitrine ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen (nämlich etwas, das in ihr liegt, zu zeigen), findet sich selbst ausgestellt. Eine Art Möbiusband, in dem sich außen und innen untrennbar vertauschen. Und eine Blockade im System. Gezeigt wird am Ende just der Abschluss, das Schließen der Vitrine – und es wird suggeriert, dass man sie nicht mehr öffnen kann.
Wie eine Antwort auf diesen Abschluss wirkt eine aktuelle Gruppe von Vitrinen-Arbeiten, für die Schaefer eine Vitrine in kleine Einzelteile zersägt hat. Noch einmal einen Grad abstrakter (man hat es beinahe nur noch mit einer Menge an sich aussageloser rechtwinkliger Messingstücke zu tun) findet sich die Schachtellogik von Closed Systems hier gleichzeitig wieder zerlegt und dennoch auf die Spitze getrieben: Wenn die Winkel auf einem niedrigen Podest zu einem Rautenmuster arrangiert werden oder ein Labyrinth (2014) gelegt und dieses wiederrum in einer intakten Vitrine unter Glas präsentiert wird, kollabieren Präsentierendes und Präsentiertes noch einmal auf ganz andere Weise – ähnlich dem Kollaps von Bezeichnendem und Bezeichnetem in Pyjama St. John.
Ein klein wenig anders – weniger über Tautologie und mehr auf Bedeutungsverschiebung operierend – funktionieren die Arbeiten auf Basis von Geldscheinmustern. Aber auch hier ist deutlich zu sehen, wie innerhalb einer modular angelegten Werkgruppe immer wieder mit den Mechanismen von Öffnung und Schließung operiert wird und die einzelnen Arbeiten sich beinahe wie Kontrapunkte zueinander verhalten. Anders gesagt: Wie die einzelnen Werke jedes Mal auch die Serie verändern, zu der sie zu gehören scheinen. So hat sie für die Serie 46 fragments from Belarusian 100 Rubel bills, die 2011 im Projektraum 4D in Berlin zu sehen war, einzelne Fragmente der Geldscheinmuster Belarussischer Rubelnoten radikal vergrößert, abgezeichnet und als eine Art „Pattern Painting“ an den Wänden aufgehängt. Diese ehedem aus einem speziellen Grund, nämlich der Fälschungssicherheit sowie der Identifizierbarkeit selbst einzelner Noten eingeführten Muster werden hier zunächst entwertet (indem sie, zweckentbunden, in pure „Dekoration“ verwandelt werden), nur um schließlich erneut und anders aufgewertet zu werden (durch den Transfer in den Raum der Kunst). Auf dem Weg dahin wird die (Wert produzierende) Abstraktion des Geldes zu einem ganz konkreten Muster, das in all seiner Dekorativität nicht mehr ist, als es ist: nämlich ein Muster. Erneuter (diesmal konzeptueller) Wert wird erst wieder über die mitgelieferte Herkunftsgeschichte der Muster eingeführt.
Einen Schritt weiter geht die Ausstellung Stabsichelbogen, die 2014 in der Berliner Galerie Krome stattfand. Die Künstlerin hat dafür Muster, die sie von einem 50.000 Mark-Geldschein aus der Zeit der Inflation entnommen hat, nicht nur nachzeichnet, sondern dabei einfachste, isolierte grafische Elemente zu einem beinahe beliebig kombinierbaren Formenreservoir zusammengefasst. Die Muster werden hier zu einer Art Alphabet, aus dem beliebig neue grafische Arbeiten zusammengesetzt werden können. Während sich für 50000 (2014) die extrem vergrößerten Muster auf einem schmalen, sechs Meter langen und bodennahen Tisch durch die Galerie ziehen, setzen sich kleinste grafische Elemente im Video Stabsichelbogen (2014) zu einem Mobile zusammen. Die einzelnen Teile werden buchstäblich zu einem neuen, größeren Ganzen animiert.
Letztlich reflektiert Schaefer das Prinzip der Öffnung und Schließung auch im Hinblick auf ihre eigene Rolle als Künstlerin. In der eingangs erwähnten Ausstellung in der Künstlerstätte Stuhr-Heiligenrode sind zwei entsprechende Arbeiten zu sehen. Da wäre einmal ein Tisch mit kunstvoll gedrechselten Beinen (Holztisch (Selbstporträt), 2014). Erst auf den zweiten Blick erkennt man (und auch dann nur anhand der nötigen Zusatzinformationen im Begleittext), dass die verschiedenen Drechselringe zusammengenommen ein Profil des Gesichts der Künstlerin abgeben. Sie selbst wandert hier als Porträt und tragendes Fundament in ihre Arbeit hinein, versteckt sich gleichzeitig aber buchstäblich unter dem Tisch. Und wieder scheint eine zweite Arbeit eine leicht variierte, gleichzeitig seltsam gegenläufige und doch in die gleiche Richtung weisende Bewegung zu vollziehen. Neben einem Bodenarrangement mit versteinerten Farnen liegt eine einfache dünne Matratze auf dem Boden, auch sie ist wie die anderen Textilarbeiten der Ausstellung eingefärbt, diesmal mit Farnen (Zu dieser Zeit war er selbst so groß wie die Bäume, in deren Schatten er jetzt lebt, 2014). Farne sollen, alten Überlieferungen nach, unsichtbar machen. Folgerichtig liegt hier jemand auf der Matratze – auch wenn man ihn oder sie nicht zu sehen bekommt. Der Ort der Künstlerin bleibt leer; und ist doch besetzt.
Am Ende präsentiert sich die Kunst von Lena Inken Schaefer (inklusive ihrer Rolle als Künstlerin) selbst als ein System, das Teil dessen ist, was es organisiert und damit aussagen möchte. So wie sich hier die einzelnen Werkgruppen verknüpfen, wie es eine Art unterliegender Thematik zu geben scheint, entkoppeln die einzelnen Elemente sich wieder – just in dem Moment, in dem sie sich allzu „ähnlich“ geben. Sie führen auf, was sie sagen, sie teilen mit, was sie bezeichnen. Und entziehen sich gleichzeitig wieder. Das Prinzip der Ähnlichkeit und des Übersprungs, des Herauslösens und erneuten Einbettens wird selbst immer wieder gebrochen und privilegiert stets nur lose (sprich: „mögliche“) Koppelungen. Ebenen gleiten ineinander, sind nicht scharf voneinander abgegrenzt und dann doch irgendwie. Dichte wird sporadisch hergestellt, Kurzschlüsse führen von einem zum anderen System, Metaphern erlauben ein Gleiten zwischen den Registern. Und so lebt dieses Werk genau von seiner prekären Zweigleisigkeit: vom Explizit-Machen und sofort wieder Implizit-werden-Lassen, vom Zeigen und Verstecken, vom Koppeln, das Hand in Hand geht mit der Entkoppelung. Abschluss, der immer auch Aufbruch bedeutet.
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