Nils Markwardt
Das Kapital, so heißt es, sei scheu wie ein Reh. Denn geht es um Geld, herrsche eben der animal spirit. Metaphorisch, aber eben auch buchstäblich. Vor der Wall-Street steht der Bulle, im Märchen scheißt der Esel Dukaten, legt die Gans goldene Eier. Der Maßlose wird gemeinhin, so wie beispielsweise in einem berühmten Mosaik in Notre-Dame de Fourvière in Lyon, als Wolf dargestellt; der Geizige im Schwäbischen bisweilen auch „Entenklemmer“ bezeichnet.
Dienen Tiere im allegorischen Repertoire der Ökonomie zumeist als Sinnbilder des Irrationalen oder Extremen, besitzt das Geld in symbolischer Hinsicht aber auch eine Dimension des Animalischen, die vielmehr das Gegenteil, nämlich Vertrauen und Beständigkeit, versprechen soll. So sind einerseits einige Währungen nach Tieren benannt. Die moldawische Leu und bulgarische Lew gehen beide auf den Löwen zurück. Der guatemaltekische Quetzal hat den gleichnamigen Tropenvogel als Vorbild, die kroatische Kuna, wörtlich übersetzt „Marder“, bezieht sich wiederum auf den mittelalterlichen Fellhandel. Andererseits gibt es aber auch jene Tiere, die diesbezüglich nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit ihrem Antlitz einstehen sollen. Das betrifft etwa den Hund.
Die argentinische Banco Oxandaburu y Garbino, eine Privatbank an der Grenze zu Uruguay, emittierte 1869 beispielsweise einen 4-Real-Schein, der mit dem Portrait eines Hubertushundes verziert war. Das Bild des treu blickenden bloodhounds, welches vom englischen Tier- und Landschaftsmaler Edwin Landseer stammte, sollte in Zeiten ökonomischen Aufruhrs einen präzisen Zweck erfüllen: Vertrauen schaffen. Das südamerikanische Land war damals nämlich zum wiederholten Male in eine heftige Wirtschaftskrise geraten, sodass man einen weiteren Abfall vom Währungsglauben durch die symbolische Anrufung des besten Freundes des Menschen verhindern wollte.
Ganz ähnlich verhielt es sich im Jahr 1921, mitten in der Inflationszeit, in Oldenburg. Dieser Tage wurde dort Notgeld herausgegeben, das den Mangel an Münzen überbrücken sollte. Der 50-Pfennig-Schein war mit einem Blindenhund illustriert, der sein Herrchen durch das Dickicht der Städte geleitete. Auf der Unterseite der Banknote war zu lesen: „Ein Führer zur Arbeit fürs tägliche Brot“. Obschon dies zunächst auf den historischen Hintergrund rekurriert, dass viele Soldaten des 1. Weltkriegs ohne Augenlicht von der Front zurückkehrten, lässt sich diese Inschrift natürlich ebenso auf einer übergeordneten Ebene lesen: Der Hund schenkt nicht nur dem Blinden, sondern auch dem Geld als solches Vertrauen.
In Lena Inken Schaefers Arbeiten 50'000, Stabsichelbogen und Erdkarussell spielt Inflationsgeld eine zentrale Rolle. Gleichwohl kommt aber auch, wie später noch zu zeigen sein wird, dem Hund eine bemerkenswerte Bedeutung zu. Gemeinsam ist allen Werken indes zunächst, dass sie einen deutschen 50'000-Mark-Schein aus der Inflationszeit zum Ausgangspunkt haben, dessen ornamentale Verzierungen sich sodann auf jeweils verscheidende Weise verselbstständigen. Dies hat wiederum zur Folge, dass alle Arbeiten auf eine bestimmte Art nach dem Wesenskern des Geldes fragen.
Soll die Wirtschaft wachsen, muss Geld fließen. Und dafür müssen Zeichen - Banknoten und Münzen - zirkulieren. Pausenlos. Denn dort, wo Kreditklemmen auftreten und chronischer Symbolmangel herrscht, können im Zweifelsfall nur noch Staat und Notenbank für Nachschub sorgen. Eskaliert die Zirkulation der Zeichen hingegen, drohen noch verhängnisvollere Verhältnisse. Im schlimmsten Fall beginnt die Geldentwertung, wie man sagt, zu galoppieren. Wenn Zeichen sich nämlich gleichermaßen explosionsartig wie exponentiell vermehren, verlieren zumeist nicht nur Geldscheine, sondern auch Gesellschaftsverträge an Wert. Gehören gerade in der Bundesrepublik die ikonographischen Bilder aus der Zeit der Hyperinflation zum kollektiven Gedächtnis, so vermögen jene Aufnahmen, die dramatisch illustrieren, wie Brieftascheninhalte plötzlich auf Schubkarrengröße anschwellen, heute immer noch finanz- und sozialpolitische Ängste zu schüren. Dementsprechend bewegt sich das Geld auf den Bahnen der ökonomischen Kreisläufe stets in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis: einerseits muss es möglichst schnell und viel fließen, andererseits darf es dabei aber nicht außer Kontrolle geraten.
Lena Inken Schaefers Zeichnung 50'000 vermag diese beiden Aspekte nun in einer ungemein stimmigen, aber gerade deshalb auch irritierenden Gleichzeitigkeit einzufangen. Schaefer hat das zentimetergroße Muster des Geldscheins aus dem Jahr 1923, welches aus einzelnen Stäben, Sicheln, Bögen, Kreisen und Tropfen besteht, auf sechs Metern mehrfach reproduziert. Bei der Betrachtung der Zeichnung stellt sich nun ein paradoxes Moment ein. Denn diese raumgreifenden Fortpflanzungen des Ornamentalen wirken in ihrer großflächigen Expansion wie wohlgeordnete Entgrenzungen, wie meditative Metastasen des Symbolischen. Es scheint, als ließe sich kaum klären, ob die Ornamente sich nun mit wohlwollender Regelmäßigkeit oder infektiöser Aggressivität ausbreiten. Zumal dieser zwiespältige Eindruck auch noch dadurch unterstrichen wird, dass jene Tafel, die hier als Trägerkonstruktion dient, sowohl die Assoziation eines Opfer-, als auch zu eines Seziertisches erlaubt. Demnach herrscht auch auf dieser Ebene eine gewisse Simultanität der widerstreitenden Bedeutungen. Das präzise Gleichmaß wissenschaftlicher Operationen steht der ekstatischen Hingabe des religiösen Ritus gegenüber.
Offenbart sich der Musterausschnitt des Geldscheins in 50'000 in einer gleichermaßen vergrößerten wie vervielfältigten Form, zeigt er sich in Stabsichelbogen nun in einer buchstäblich de-konstruierten Gestalt, als Ansammlung von Einzelteilen. Die Stäbe, Sicheln und Bögen, die zuvor ein ornamentales Ganzes bildeten, treten hernach als autonome Figuren eines Mobiles auf. Betrachtet man, wie deren schattenlose Silhouetten einander bedächtig umkreisen, erzeugt Stabsichelbogen auf den ersten Blick ein geradezu sedierendes Gefühl gleichmäßiger Zirkulationen. Das ändert sich jedoch auf den zweiten Blick. In ihrer rotierenden Bewegung bilden die einzelnen Formen nämlich fortlaufend flüchtige Verbindungen, die sich immer wieder rasch auflösen. Es herrscht gewissermaßen symbolisches Chaos - zumindest wenn man letzteres wortwörtlich nimmt. Bedeutet Chaos etymologisch doch so viel wie „klaffender Raum“. Zudem gibt es in der Arbeit noch ein zweites „störendes“ Moment. Denn die Mobile-Figuren drehen sich bei genauerem Hinsehen eben gerade nicht im Gleichmaß, sondern sind bisweilen unterschiedlich starken Schwingungen ausgesetzt. Es wirkt, als ob sie ab und an von plötzlichen Windstößen erfasst werden. Und dies erlaubt wiederum die assoziative Querverbindung zur Inflation, geht der Begriff doch auf das lateinische Verb inflare zurück, was so viel wie „aufblasen“, „aufblähen“ oder „anschwellen“ bedeutet. So figuriert also auch Stabsichelbogen eine Art Gleichzeitig der Widersprüche. Das Mobile wirkt einerseits wie eine ausbalancierte Konstruktion, andererseits verweisen die freischwebenden Zeichen, die phasenweise vom Wind irritiert werden, aber eben auch auf die prekäre Existenz symbolischer Ordnungen.
Erscheint das Muster des 50'000-Mark-Scheints in Stabsichelbogen de-konstruiert, geht die Diaprojektion Erdkarussell in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter. Die ornamentalen Versatzstücke der Banknote werden nicht nur in ihren Einzelheit präsentiert, sondern wieder zu neuen Figuren zusammengesetzt. In der Serie von 80 Zeichnungen finden sich sodann etwa Samen, Blüten, Werkzeuge, Geweihe, Hörner, Knochen, Eier oder - ein Hund. Die Ornamentik des Papiergelds, die in ihre Einzelteile demontiert und daraufhin rekombiniert wird, lässt somit plötzlich prämonetäre Zusammenhänge aufscheinen. Denn Werkzeuge, Samen oder Eier, dies waren alles Mittel des Tauschhandels.
So wie beispielsweise die kroatische Kuna ihre eigenen Ursprünge, den Fellhandel, im Namen trägt, vermag Lena Inken Schaefer den 50'000-Mark-Schein in Erdkarussell demnach als ornamentales Archiv seiner eigenen (Vor-)Geschichte zu inszenieren. In der Auseinandersetzung mit den Mustern des Papiergelds werden deren prämonetäre Ursprünge freigelegt. Das zeigt sich nicht zuletzt auch dadurch, dass Schaefer die Zeichnungen in einem explizit handwerklichen Prozess hat entstehen lassen. Zunächst wurden die 33 einzelnen Mobile-Figuren aus Stabsichelbogen nämlich in jeweils zwei verschiedenen Größen aus Stahl ausgeschnitten, um diese dann als Schablonen für die Zeichnungen von Erdkarussell zu benutzen.
Dass in dieser Reihe von Zeichnungen nun schließlich auch ein Hund vorkommt, ist, ob bewusst oder unbewusst, eine besonders intrikate Pointe. Hat man nämlich die eingangs illustrierte Beispiele vom Hund als allegorischen Hüter des Vertrauens im Hinterkopf, wird markant, dass alle drei Arbeiten Schaefers durch ihn auf gewisse Weise verklammert werden. Der Hund, so ließe sich zugespitzt sagen, bildet eine Art hermeneutisches Scharnier zwischen 50'000, Stabsichelbogen und Erdkarussell. Einerseits steht er nämlich im Assoziationskreis prämonetärer Bedeutungen, andererseits fungiert er aber auch als Vertrauenssymbol. Er verweist also nicht nur auf die Vorgeschichte des Geldes, sondern bezeugt stellvertretend auch den gleichermaßen sinnbildlichen wie buchstäblichen Versuch, die eskalierten (Geld-)Zeichen wieder unter Kontrolle zu bringen.
Stocker, Franz: Als die Notenbanker auf den Hund kamen. In: Die Welt, 22.08.2014. Online unter: http://www.welt.de/finanzen/article131481615/Als-die-Notenbanker-auf-den-Hund-kamen.html
Ebd.
Nils Markwardt
Das Kapital, so heißt es, sei scheu wie ein Reh. Denn geht es um Geld, herrsche eben der animal spirit. Metaphorisch, aber eben auch buchstäblich. Vor der Wall-Street steht der Bulle, im Märchen scheißt der Esel Dukaten, legt die Gans goldene Eier. Der Maßlose wird gemeinhin, so wie beispielsweise in einem berühmten Mosaik in Notre-Dame de Fourvière in Lyon, als Wolf dargestellt; der Geizige im Schwäbischen bisweilen auch „Entenklemmer“ bezeichnet.
Dienen Tiere im allegorischen Repertoire der Ökonomie zumeist als Sinnbilder des Irrationalen oder Extremen, besitzt das Geld in symbolischer Hinsicht aber auch eine Dimension des Animalischen, die vielmehr das Gegenteil, nämlich Vertrauen und Beständigkeit, versprechen soll. So sind einerseits einige Währungen nach Tieren benannt. Die moldawische Leu und bulgarische Lew gehen beide auf den Löwen zurück. Der guatemaltekische Quetzal hat den gleichnamigen Tropenvogel als Vorbild, die kroatische Kuna, wörtlich übersetzt „Marder“, bezieht sich wiederum auf den mittelalterlichen Fellhandel. Andererseits gibt es aber auch jene Tiere, die diesbezüglich nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit ihrem Antlitz einstehen sollen. Das betrifft etwa den Hund.
Die argentinische Banco Oxandaburu y Garbino, eine Privatbank an der Grenze zu Uruguay, emittierte 1869 beispielsweise einen 4-Real-Schein, der mit dem Portrait eines Hubertushundes verziert war. Das Bild des treu blickenden bloodhounds, welches vom englischen Tier- und Landschaftsmaler Edwin Landseer stammte, sollte in Zeiten ökonomischen Aufruhrs einen präzisen Zweck erfüllen: Vertrauen schaffen. Das südamerikanische Land war damals nämlich zum wiederholten Male in eine heftige Wirtschaftskrise geraten, sodass man einen weiteren Abfall vom Währungsglauben durch die symbolische Anrufung des besten Freundes des Menschen verhindern wollte.
Ganz ähnlich verhielt es sich im Jahr 1921, mitten in der Inflationszeit, in Oldenburg. Dieser Tage wurde dort Notgeld herausgegeben, das den Mangel an Münzen überbrücken sollte. Der 50-Pfennig-Schein war mit einem Blindenhund illustriert, der sein Herrchen durch das Dickicht der Städte geleitete. Auf der Unterseite der Banknote war zu lesen: „Ein Führer zur Arbeit fürs tägliche Brot“. Obschon dies zunächst auf den historischen Hintergrund rekurriert, dass viele Soldaten des 1. Weltkriegs ohne Augenlicht von der Front zurückkehrten, lässt sich diese Inschrift natürlich ebenso auf einer übergeordneten Ebene lesen: Der Hund schenkt nicht nur dem Blinden, sondern auch dem Geld als solches Vertrauen.
In Lena Inken Schaefers Arbeiten 50'000, Stabsichelbogen und Erdkarussell spielt Inflationsgeld eine zentrale Rolle. Gleichwohl kommt aber auch, wie später noch zu zeigen sein wird, dem Hund eine bemerkenswerte Bedeutung zu. Gemeinsam ist allen Werken indes zunächst, dass sie einen deutschen 50'000-Mark-Schein aus der Inflationszeit zum Ausgangspunkt haben, dessen ornamentale Verzierungen sich sodann auf jeweils verscheidende Weise verselbstständigen. Dies hat wiederum zur Folge, dass alle Arbeiten auf eine bestimmte Art nach dem Wesenskern des Geldes fragen.
Soll die Wirtschaft wachsen, muss Geld fließen. Und dafür müssen Zeichen - Banknoten und Münzen - zirkulieren. Pausenlos. Denn dort, wo Kreditklemmen auftreten und chronischer Symbolmangel herrscht, können im Zweifelsfall nur noch Staat und Notenbank für Nachschub sorgen. Eskaliert die Zirkulation der Zeichen hingegen, drohen noch verhängnisvollere Verhältnisse. Im schlimmsten Fall beginnt die Geldentwertung, wie man sagt, zu galoppieren. Wenn Zeichen sich nämlich gleichermaßen explosionsartig wie exponentiell vermehren, verlieren zumeist nicht nur Geldscheine, sondern auch Gesellschaftsverträge an Wert. Gehören gerade in der Bundesrepublik die ikonographischen Bilder aus der Zeit der Hyperinflation zum kollektiven Gedächtnis, so vermögen jene Aufnahmen, die dramatisch illustrieren, wie Brieftascheninhalte plötzlich auf Schubkarrengröße anschwellen, heute immer noch finanz- und sozialpolitische Ängste zu schüren. Dementsprechend bewegt sich das Geld auf den Bahnen der ökonomischen Kreisläufe stets in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis: einerseits muss es möglichst schnell und viel fließen, andererseits darf es dabei aber nicht außer Kontrolle geraten.
Lena Inken Schaefers Zeichnung 50'000 vermag diese beiden Aspekte nun in einer ungemein stimmigen, aber gerade deshalb auch irritierenden Gleichzeitigkeit einzufangen. Schaefer hat das zentimetergroße Muster des Geldscheins aus dem Jahr 1923, welches aus einzelnen Stäben, Sicheln, Bögen, Kreisen und Tropfen besteht, auf sechs Metern mehrfach reproduziert. Bei der Betrachtung der Zeichnung stellt sich nun ein paradoxes Moment ein. Denn diese raumgreifenden Fortpflanzungen des Ornamentalen wirken in ihrer großflächigen Expansion wie wohlgeordnete Entgrenzungen, wie meditative Metastasen des Symbolischen. Es scheint, als ließe sich kaum klären, ob die Ornamente sich nun mit wohlwollender Regelmäßigkeit oder infektiöser Aggressivität ausbreiten. Zumal dieser zwiespältige Eindruck auch noch dadurch unterstrichen wird, dass jene Tafel, die hier als Trägerkonstruktion dient, sowohl die Assoziation eines Opfer-, als auch zu eines Seziertisches erlaubt. Demnach herrscht auch auf dieser Ebene eine gewisse Simultanität der widerstreitenden Bedeutungen. Das präzise Gleichmaß wissenschaftlicher Operationen steht der ekstatischen Hingabe des religiösen Ritus gegenüber.
Offenbart sich der Musterausschnitt des Geldscheins in 50'000 in einer gleichermaßen vergrößerten wie vervielfältigten Form, zeigt er sich in Stabsichelbogen nun in einer buchstäblich de-konstruierten Gestalt, als Ansammlung von Einzelteilen. Die Stäbe, Sicheln und Bögen, die zuvor ein ornamentales Ganzes bildeten, treten hernach als autonome Figuren eines Mobiles auf. Betrachtet man, wie deren schattenlose Silhouetten einander bedächtig umkreisen, erzeugt Stabsichelbogen auf den ersten Blick ein geradezu sedierendes Gefühl gleichmäßiger Zirkulationen. Das ändert sich jedoch auf den zweiten Blick. In ihrer rotierenden Bewegung bilden die einzelnen Formen nämlich fortlaufend flüchtige Verbindungen, die sich immer wieder rasch auflösen. Es herrscht gewissermaßen symbolisches Chaos - zumindest wenn man letzteres wortwörtlich nimmt. Bedeutet Chaos etymologisch doch so viel wie „klaffender Raum“. Zudem gibt es in der Arbeit noch ein zweites „störendes“ Moment. Denn die Mobile-Figuren drehen sich bei genauerem Hinsehen eben gerade nicht im Gleichmaß, sondern sind bisweilen unterschiedlich starken Schwingungen ausgesetzt. Es wirkt, als ob sie ab und an von plötzlichen Windstößen erfasst werden. Und dies erlaubt wiederum die assoziative Querverbindung zur Inflation, geht der Begriff doch auf das lateinische Verb inflare zurück, was so viel wie „aufblasen“, „aufblähen“ oder „anschwellen“ bedeutet. So figuriert also auch Stabsichelbogen eine Art Gleichzeitig der Widersprüche. Das Mobile wirkt einerseits wie eine ausbalancierte Konstruktion, andererseits verweisen die freischwebenden Zeichen, die phasenweise vom Wind irritiert werden, aber eben auch auf die prekäre Existenz symbolischer Ordnungen.
Erscheint das Muster des 50'000-Mark-Scheints in Stabsichelbogen de-konstruiert, geht die Diaprojektion Erdkarussell in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter. Die ornamentalen Versatzstücke der Banknote werden nicht nur in ihren Einzelheit präsentiert, sondern wieder zu neuen Figuren zusammengesetzt. In der Serie von 80 Zeichnungen finden sich sodann etwa Samen, Blüten, Werkzeuge, Geweihe, Hörner, Knochen, Eier oder - ein Hund. Die Ornamentik des Papiergelds, die in ihre Einzelteile demontiert und daraufhin rekombiniert wird, lässt somit plötzlich prämonetäre Zusammenhänge aufscheinen. Denn Werkzeuge, Samen oder Eier, dies waren alles Mittel des Tauschhandels.
So wie beispielsweise die kroatische Kuna ihre eigenen Ursprünge, den Fellhandel, im Namen trägt, vermag Lena Inken Schaefer den 50'000-Mark-Schein in Erdkarussell demnach als ornamentales Archiv seiner eigenen (Vor-)Geschichte zu inszenieren. In der Auseinandersetzung mit den Mustern des Papiergelds werden deren prämonetäre Ursprünge freigelegt. Das zeigt sich nicht zuletzt auch dadurch, dass Schaefer die Zeichnungen in einem explizit handwerklichen Prozess hat entstehen lassen. Zunächst wurden die 33 einzelnen Mobile-Figuren aus Stabsichelbogen nämlich in jeweils zwei verschiedenen Größen aus Stahl ausgeschnitten, um diese dann als Schablonen für die Zeichnungen von Erdkarussell zu benutzen.
Dass in dieser Reihe von Zeichnungen nun schließlich auch ein Hund vorkommt, ist, ob bewusst oder unbewusst, eine besonders intrikate Pointe. Hat man nämlich die eingangs illustrierte Beispiele vom Hund als allegorischen Hüter des Vertrauens im Hinterkopf, wird markant, dass alle drei Arbeiten Schaefers durch ihn auf gewisse Weise verklammert werden. Der Hund, so ließe sich zugespitzt sagen, bildet eine Art hermeneutisches Scharnier zwischen 50'000, Stabsichelbogen und Erdkarussell. Einerseits steht er nämlich im Assoziationskreis prämonetärer Bedeutungen, andererseits fungiert er aber auch als Vertrauenssymbol. Er verweist also nicht nur auf die Vorgeschichte des Geldes, sondern bezeugt stellvertretend auch den gleichermaßen sinnbildlichen wie buchstäblichen Versuch, die eskalierten (Geld-)Zeichen wieder unter Kontrolle zu bringen.
Stocker, Franz: Als die Notenbanker auf den Hund kamen. In: Die Welt, 22.08.2014. Online unter: http://www.welt.de/finanzen/article131481615/Als-die-Notenbanker-auf-den-Hund-kamen.html
Ebd.